Geistlicher Impuls zum 27.07.2024

Benedikt bricht eine Lanze für das Prinzip der Solidarität. Dabei geht es ihm nicht so sehr um den Grundsatz. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der einzelne Mensch in seiner Individualität und geschöpflichen Einmaligkeit, aber ebenso sehr die Gabe und Forderung der biblischen Caritas. Diese plädieren für einen zwischenmenschlichen Lastenausgleich, protestieren gegen ein herzloses Gesetz der Leistung und der Stärke und postulieren eine Rücksichtnahme, deren Ursprung im Verhalten Gottes liegen. Der Mensch ist nun einmal ein auf Hilfe angewiesenes Wesen. Das wird nirgendwo so deutlich wie am Anfang und am Ende seines Lebens. Das Merkmal der Hilfsbedürftigkeit ist ihm geradezu eingeschrieben. Selbst die Periode unserer augenscheinlichen Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Autonomie erweist sich aufs Ganze gesehen als eine recht fragwürdige. Dabei muss man gar nicht an bestimmte Sondersituationen wie Krankheit, Not oder Überforderung denken. Das hat nicht nur mit dem System der Arbeitsteilung etwas zu tun. Schon ganz normale Alltäglichkeiten bestätigen unser Angewiesensein auf die Unterstützung anderer; eine Auskunft, eine Information, eine Handreichung usw. Wie sehen wir Hilfe, wie empfangen wir Hilfe, wie geben wir Hilfe? Ist sie ein Eingeständnis unserer Schwäche, ein Angriff auf unser Prestige, eine Ausbeutung anderer, eine Flucht in die Bequemlichkeit, eine Höflichkeit, ein Gebot des Anstands, eine Demütigung oder Ähnliches? Subsidiarität und Solidarität können das alles sein. Aber Hilfe ist noch mehr und anderes. Echte Hilfe will nicht wehtun, verletzen oder kleiner machen; um Hilfe bitten, einem Hilfe gewähren, hat nichts mit der Größe oder Niedrigkeit eines Menschen zu tun. Hilfe ist keine Frage der Macht oder der Laune, sondern der Menschlichkeit.

Entnommen aus Christian Schütz OSB, Gesegneter Alltag. Lebensweisheit aus der Regel Benedikts

– Sankt Ottilien