Entnommen aus Christian Schütz OSB, Gesegneter Alltag. Lebensweisheit aus der Regel Benedikts
Geistlicher Impuls zum 29.04.2025
Die Rede vom Auge oder von den Augen Gottes mag uns in mancher Hinsicht belastet erscheinen, vor allem dann wenn wir sie mit der Vorstellung der Kontrolle in Verbindung bringen. Die Bibel spricht wesentlich unvoreingenommener und offener davon. So versichert Gott dem Beter: „Über dir wacht mein Auge“ (Ps 32,8). Ähnlich bekennt der Fromme: „Das Auge des Herrn ruht auf allen, die ihn fürchten und ehren, die nach seiner Güte ausschaun“ (Ps 33,18). An einer anderen Stelle betont der Glaube: „Die Augen des Herrn blicken auf die Gerechten, seine Ohren hören ihr Schreien“ (Ps 34,16).
Was es um die Augen oder das Sehen Gottes ist, das lässt sich am Beispiel unseres eigenen Sehens ablesen. Dieses ist keine Fertigkeit, die wir schon voll entwickelt mitbringen. Wie so vieles andere müssen wir auch das Sehen erst lernen. Im Grunde dauert dieser Vorgang ein Leben lang. Wenn wir unser Sehen und unsere Sehgewohnheiten etwas näher unter die Lupe nehmen, dann stellen wir fest, dass wir beim Sehen vieles einfach auswählen. Was wir nicht gerne sehen, das übersehen wir. Was uns interessiert, das beobachten wir genau und intensiv. Was uns stört, das entfernen wir aus unserem Gesichtskreis. Mit Hilfe der Augen bauen wir uns unsere je eigene Welt auf, die sehr subjektiv gefärbt sein kann. Unsere Sehfähigkeit erstreckt sich nicht nur auf die Horizontale des Vielen und Vielerlei, sie kennt auch verschiedene Intensitätsgrade. Wir können unsere Augen nur vorübergehend auf der Oberfläche der Dinge spazieren gehen lassen oder auch hinter die Fassade führen und in die Tiefe von etwas eindringen lassen. Dazu braucht es vor allem eine Voraussetzung, die lautet: Liebe. Wenn Gott die Liebe ist, dann vermag er allein wirklich und in Wahrheit zu sehen.