Geistlicher Impuls zum 19.03.2024

Die kritische Regelforschung weist die Worte „alle“ und „Menschen“ an dieser Stelle als einen Zusatz bzw. eine Korrektur Benedikts an seiner biblischen Vorlage aus, die von der Ehre Vater und Mutter gegenüber spricht (vgl. Ex 20,12; Dtn 5,16). Auch wenn es zu weit geht, aus Benedikt den ersten christlichen Humanisten zu machen, so kommen doch der Mensch, das „humanum“ (= Menschenfreundliche) und die „humanitas“ (= humane Gesinnung) in seiner Regel in einer einmaligen Liebenswürdigkeit zur Sprache und zur Geltung. Wer oder was ist dieser Mensch, als dessen Anwalt bzw. Sprachrohr Benedikt auftritt? Es ist nicht unbedingt der Mensch, der uns an der nächsten Straßenecke begegnet, der uns aus den Nachrichten oder Berichten unserer Medien entgegentritt, der auf vielfache Weise andere manipuliert und selber manipuliert wird; es ist vielmehr der Mensch der Bibel, der uns zunächst als fern oder entrückt erscheint, in Wahrheit aber hinter allem steht, was wir als Mensch heute erleben und erfahren. Dieser Mensch ist zutiefst ein Suchender. Wie ernst er zu nehmen ist, das macht die Frage deutlich: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?“ (RB Prol. 15 = Ps 34,13) Zu diesem Zweck muss man dem Leben, wie es sich in den verschiedensten Menschen, deren Lebensläufen und Lebensräumen spiegelt, auf die Spur zu kommen versuchen. Leitfaden können einem dabei die Lebenserfahrungen anderer sein, wie sie exemplarisch in der Bibel als dem Lebens- und Orientierungsbuch schlechthin ihren Niederschlag gefunden haben. Der ständige und intensive Umgang damit versetzt den Fragesteller in ein fortwährendes Gespräch über sein Leben, über das Leben. Die unverzichtbare Basis dafür ist unsere Hör- und Lernbereitschaft den anderen gegenüber, von Benedikt kurz als „ehren“ bezeichnet.

Entnommen aus Christian Schütz OSB, Gesegneter Alltag. Lebensweisheit aus der Regel Benedikts

– Sankt Ottilien