Geistlicher Impuls zum 15.05.2024

Fast möchte man erschrecken bei dem Gedanken, dass so ein Satz in einer Lebensregel für Ordensleute steht. Es hat wenig Sinn, sich bei der Frage, ob so etwas möglich ist, aufzuhalten; wichtiger ist es, sich über den Hass und das Hassen Gedanken zu machen. Es gibt nichts Schlimmeres und Kälteres als den Hass. In dem, der hasst, scheint die Liebe bereits gestorben zu sein. So verabscheuenswert der Hass und seine Ausbrüche sein mögen, so wäre es doch Vermessenheit, wollte man sich selber von vornherein von dieser Gefahr ausgenommen wissen. Die Erfahrung zeigt, dass die Großzahl der Menschen freundlich und liebenswürdig ist. Vielen scheint der Hass völlig fern zu liegen, teils weil sie keinen Anlass dazu haben, jemand zu hassen, teils weil es ihnen an der Leidenschaftlichkeit mangelt, mit der eine Abneigung sich zu tödlichem Hass steigern kann. Hält man sich allein an die Ausbrüche echten Hasses, so bekommt man es mit Ausnahmen zu tun. Doch sollte man bedenken, dass hier nur ausbricht und zutage tritt, was mehr oder weniger tief unter der Decke unseres Verhaltens brodelt. Niemand kann von sich behaupten, er habe gegen den Hass genug getan. Ins Positive gewendet müsste das heißen, er habe genug geliebt. In der Tat gibt es einen solchen Schwund an Liebe, dass daraus ein mehr allgemeiner oder auch ein besonderer Menschenhass wird. Der Mangel an Liebe, der sich in Extremfällen von Hass offenbart, verrät Möglichkeiten, die in uns allen lauern; gleichzeitig ist er ein alarmierendes Signal für eine Umgebung, in der derselbe Krankheitsherd schleichend wirksam ist. Auch da fehlt es nicht an Anzeichen dafür, wenn wir an die Gleichgültigkeit, die Herzensträgheit, die mangelnde Freude und Begeisterung, die Ungeduld, die Gefühlskälte oder gemeinsame Mittelmäßigkeit denken. An all dem wird spürbar, dass es an Liebe fehlt, an einem allem überlegenen und alles überwindenden Erfülltsein von der Liebe Gottes.

Entnommen aus Christian Schütz OSB, Gesegneter Alltag. Lebensweisheit aus der Regel Benedikts

– Sankt Ottilien